Zoo-AG

Anmerkungen


Dies ist eine Archivseite mit dem inhaltlichen Stand von 2000 und wird nicht aktualisiert. Sie bleibt als historisches Dokument online.

Bericht 8. Tiergartenbiologischer Workshop in Erlangen


11./12. November 2000


Unter dem dehnbaren Motto “Anpassungsprozesse” fand wie immer im November der Tiergartenbiologische Workshop statt, veranstaltet von Udo Gansloßer. Diesmal konnten nur zwei Mitglieder der Zoo-AG teilnehmen - einerseits, da niemand von uns bis wenige Tage vor der Veranstaltung eine Einladung gesehen hatte, und andererseits, da es vorher auch kein Programm gab. So konnten sich leider viele nicht entschließen, kurzfristig auf Verdacht nach Erlangen zu fahren. Gelohnt hat es sich in jedem Fall, nicht zuletzt wegen der vielen Kontakte und persönlichen Gespräche. In diesem Jahr waren ohnehin nur 80 Teilnehmer gekommen (nur 2/3 des Vorjahres); das hatte aber den Vorteil, bessere und offenere Diskussionen zu erleben. Zudem war das einst stark tiergarten-biologisch, durch Diplomarbeiten und Verhaltensbiologie geprägte Gesicht des Workshops noch mehr als im Vorjahr in Richtung Gehege-Planung, Design und Zoo-Konzepte verschoben.


Vorträge

Rainer Revers, Salzburg: In gewohnt scharfsinnig-scharfzüngiger Weise analysierte der Direktor des Hellbrunner Tiergartens den Scheidepunkt, an dem Zoos heute stehen: Kommende EU-Regelungen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse drücken auf die klassische Tierhaltung in Zoos, so Erkenntnisse über natürliche Sozialstrukturen, aber auch die Ergebnisse von Bewußtseinsforschung und Tierethik. Zunehmend argumentiert Zookritik vor wissenschaftlichem Hintergrund, und die Zoowelt hat sich in eine reaktive Phase drängen lassen. Die wenigen Zoos, die wie der Nürnberger sich offensiv und öffentlich den Problemen stellen, verursachen deshalb zwangsläufig Probleme für andere Zoos, die nun solche Fragen ebenfalls beantworten müssen. Er erkennt zwei unterschiedliche Entwicklungsschienen der Zoos: Die einen orientieren sich am Freizeit- und Kommerz-Aspekt (Stichwort Erlebniszoos), die anderen an Wissenschaft und Artenschutz. Letzteren werden gerne wenig Chancen im Wettbewerb gegeben. Doch Revers meint, sowohl gesetzliche Anforderungen wie auch die öffentliche Meinung sprächen für diese Richtung: Die Besucher wünschen in Umfragen ausdrücklich nicht Action und Events, sondern fordern Artenschutz, Forschung und Bildung. Nur muß solche Arbeit auch vermittelt werden: Zoos müssen die Öffentlichkeitsarbeit steigern, und zwar vor allem auch außerhalb der Zoo-Mauern - bei Akademikern und Politikern, also den Enscheidungsträgern. Der Generationswechsel in den Zoos vollzieht sich nur langsam, ebenso die Verabschiedung vom Sammeln (z.B. eine statt drei Menschenaffenarten).
Fazit: Wir können uns das heutige Tempo nicht mehr erlauben!

Zwei Nachfragen zweifelten die Aussagekraft der Umfragen an: Einerseits sei kostenneutral gefragt worden - bei der gewünschen Aufgabenverteilung ergäben sich Eintrittspreise um 40 DM. Außerdem gäbe es meist eine klare Differenz zwischen Kundenwünschen und Kundenverhalten, man denke nur an Mehrweg-Verpackungen: in allen Umfragen gewollt, aber gekauft wird nur, was billig ist.

Eckard Wiesenthal: Der Gründer der “Tiergartengestaltung” plädierte für viel mehr Mut zur Spezialisierung von Zoos und zu deutlich weniger Tierarten, die dafür intensiv erlebt werden können. Als Beispiel nannte er Projekte wie einen Eulenpark mit nur sechs Arten oder einen Affenpark mit fünf. Die Grundfrage ist: Wie bekommt man Besucher, um als Zoo zu überleben? Das Tier muß im Mittelpunkt stehen - Oase für einzelne Tierarten, weniger ist mehr. Besucher wollen kein Multimedia, keine Videos, keine Shows. Die Zukunft ist nicht der Abenteuer-Event, sondern die ausführliche, auch emotional ansprechende Vorstellung einzelner Arten in ihrem ökologischen Gefüge. Wichtig ist auch, die Tierpfleger wieder nach vorne zu holen, als wichtigstes Bindeglied zwischen Tieren und Besuchern.

Sabine Hilsberg, künftig Zoo Frankfurt, stellte ihre Doktorarbeit vor, in der sie ein breites Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten für IR-Thermographie im Zoo fand: Mit Wärmebildern lassen sich Krankheiten und Verletzungen sehr gezielt auch bei Wildtieren finden (erhitzte Gliedmaßen, Entzündungen und Fellschäden), die sonst alle Symptome verbergen. Trächtigkeiten sind ohne Eingriffe zu erkennen. Neue Erkenntnisse ergeben sich auch für Streßmessungen, Stoffwechsel- und Thermoregulationsfragen; so geben Huftiere viel Wärme über die Hufe ab, Hornträger nutzen dafür die Knochenzapfen der Hörner. Besonders interessant ist der Vergleich zwischen Haltungsbedingungen: Tiere, die an kalten Tagen aus überheizten Ställen kommen, können ihre Thermoregulation nicht anpassen; ein hohes Risiko für Krankheiten. Umgekehrt können Tiere in Tropenhäusern ohne ausreichende Abkühlungsmöglichkeit überhitzen - wahrscheinlich Todesursache bei zwei Elefanten. Die neue, noch sehr teure Technik ermöglicht somit auch die Optimierung des Haltungsklimas.

Udo Gansloser zeigte Probleme beim Management von Kleinsäuger-Populationen auf. Damit griff er die Gedanken von der EAZA-Tagung auf. Er warnte davor, sonst übliche Methoden wie die Unterbrechung der Fortpflanzung bei zu großer Population anzuwenden, da kurzlebige, “r-selektierte” Arten sehr schnell Populationsüberalterung und -zusammenbrüche zeigen können [das zeigte vor einiger Zeit das Beispiel der Kowaris überdeutlich - hätten sich einige Züchter nicht über den Zuchtstopp hinweggesetzt, wären sie möglicherweise aus europäischen Ssmmlungen verschwunden]. Er plädiert dafür, Selektionsfaktoren zuzulassen, und warnte davor, aus Gründen gleichmäßiger genetischer Repräsentation jedes Gründertier zur Fortpflanzung zwingen zu wollen und andere Tiere mit mehr “Fitness” deswegen von weiterer Fortpflanzung auszuschließen. Das sei genetische Gleichmacherei durch die Zuchtbuchführung. Wenn man Tierarten 200 Jahre im Zoo erhalten will, blieben nur zwei Möglichkeiten: Selektion oder Zufall. “Ein halbwegs denkfähiger Zoologe muß professionell herangehen, und wenn nicht, Platz machen für andere Leute”.


Roundtables

Im Vorjahr war u.a. auf Initiative von Mitgliedern der Zoo-AG erstmals der Versuch gemacht worden, das Plenum für einige Stunden in kleinere Arbeitskreise aufzuteilen, in denen spezielle Fragestellungen gemeinsam bearbeitet werden. Das hatte sich bewährt; nur wußten die Veranstalter der Roundtables bis zum Schluß nicht von den Themen der anderen; einer sogar nicht einmal, daß er einen Roundtable leiten sollte. So kam es, daß sich von vier Themen drei um die Planung neuer Gehege drehten. Kurzentschlossen wurden daher die Roundtable Kirsten/Zessin und Fiby/Petzold zusammengelegt.

Der Roundtable Becker/Münchau machte ein Planspiel, bei dem die Teilnehmer mit gleichen Vorgaben einen Masterplan für das Vivaium Darmstadt entwerfen sollten.

Der Roundtable Gansloser beschäftigte sich wie sein Vortrag mit der Frage, ob die bestehenden, theoriebasierten Verfahren der Zuchtbuchführung an die Gegebenheiten in den Zoos und die natürlicherweise vorkommende Selektion angepaßt werden müßten.

Da ich zwangläufig an beiden nicht teilnehmen konnte, muß ich ein Fazit schuldig bleiben.

Anfang des Roundtable Kirsten/Zessin/Fiby/Petzold bildete ein Kurzvortrag von Monika Fiby als Vergleich zweier unterschiedlicher Design-Philosophien für Elefantengehege. Anschließend versuchte ich durch Dias von Tiergehegen, bei denen jeweils ein Aspekt (Design, Tierhaltung, Tierpflege usw.) offensichtlich vernachlässigt oder nachgebessert wurde, die Diskussion anzuregen, was auch gut funktionierte: schon nach wenigen Bildern entspann sich eine intensive Diskussion um die Frage, wie Planung solche Fehler vermeiden kann und inwieweit realistische Immersionsgehege machbar, sinnvoll oder überhaupt gewünscht sind. Direkt daran schloß sich die Diskussion um die mehrstufige Planungsmethode des Zoo Schwerin mittels Ideenfindungsseminaren an, nochmals erläutert und verteidigt von Frank Kirsten und Wolfgang Zessin, die auch klarmachten, daß durch den Einfluß anderer Meinungen sogar Ideen der Direktion wie Artenschutz-Aspekte letzlich wegfallen können. Monika Fiby ergänzte die Diskussion um die Methode des Zoo Atlanta, in dem bei der Planung Rollenspiele stattfinden, wobei “Anwälte” für Tierhaltung, Besucherwünsche, Didaktik usw. eingesetzt werden. Zuletzt wurde intensiv darüber diskutiert, ob Ansprüche wie Artenschutz im Zoo der Zukunft überhaupt realisierbar sind. Ein Konsens wurde freilich nicht erzielt: Eine Seite, zu der ich mich zähle, hofft mit vielleicht etwas zu viel Wunschdenken, daß sich Wissenschaft, Artenschutz und Didaktik auch in Konkurrenz zu Freizeit-Events und Erlebnisattraktionen im Zoo halten und festigen können: Der Zoo der Zukunft wird das Naturschutzzentrum sein. Mehr Realismus nehmen die Vertreter jener Meinung für sich in Anspruch, die Zoos würden nur überleben, wenn sie sich von solch heren Grundsätzen trennen und den Marktinteressen folgen. Die Wahrheit wird dazwischen liegen; schon heute gibt es Zoos, die völlig verschiedene Wege einschlagen. Das Thema wird noch Stoff für viele Tagungen liefern.




Weitere, eher spezielle Vorträge im Plenum

Frank Kirsten / Wolfgang Zessin: Die Schweriner Methode der Bauprojektplanung und -realisierung: Ideenfindungsseminare auch mit fachfremden Leuten.

Monika Fiby: Vorstellung der Internet-Plattform für Zoo-Design ZooLex, die auf Basis eines gemeinnützigen Vereins künftig mit Unterstützung der Zooverbände eine Präsentier- und Rechercheplattform für Gehege-Gestaltung sein soll.

Angelika Weidel: Gemeinschaftshaltung von Surrikaten und Löwen im Zoo Schwerin: Klappt nach Umbau und Verlegung von 60 m “Fluchttunneln” nun sehr gut.

Christian Beck: Raumnutzung von Kropfgazellen als Grundlage für neue Gehegeplanung in Karlsruhe.

Urs Frohnes: Semifreilandhaltung von Weißbüscheläffchen

Tom Becker: Der Masterplan des Vivariums Darmstadt

Barbara Münchau: Der Masterplan des Tierpark Siegelbach (künftig Naturzoo Kaiserslautern)

sowie viele weitere, die hier nicht einzeln vorgestellt werden können - es gibt hoffentlich später einen Tagungsband.



Website der Arbeitsgruppe Gansloßer:
www.zoobiology.de
 (betreut durch Mitglieder der Zoo-AG)




Kurzbericht Zoo Nürnberg / Wildpark Bad Kissingen




Bericht 9. Workshop 2001



© 2000 Dirk Petzold


Erstellt am 22.12.2000 - zur Zoo-AG Homepage logoeule