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Schon äußerlich ist der Zoo nicht
wiederzuerkennen. Entlang der Deichkrone zieht sich
nun eine recht avantgardistische Architektur, in der
verschiedene Infrastrukturen vom Zooshop bis
zum Eingang enthalten sind. Direkt darüber
befindet sich der erste Bereich, in dem nun deutlich
verbesserte Haltungsbedingungen herrschen:
Verwaltung und Direktionsbüro, in dem uns Frau Dr.
Kück zu einem ersten Gespräch empfing und von dem
sie einen guten Blick auf die Schlange vor der Kasse
hat. In den Monaten nach der Wiedereröffnung am 27.
März kamen so viele neugierige Besucher, daß der mit
weniger als einem Hektar trotz 40% Erweiterung ja
noch immer flächenmäßig sehr kleine Zoo sie kaum
fassen konnte. Um genervte Besucher auf überfüllten
Wegen zu vermeiden, wurde während der Hauptsaison
sogar auf weitere Werbeaktionen verzichtet.
Gleich hinter der Kasse macht der Zoo zunächst
seinem alten Namen “Tiergrotten” wieder alle Ehre.
Zwar ist noch kein Tier weit und breit zu sehen,
dafür wandert man aber durch einen Canyon aus
Kunstfelsen.
Rechts führt ein Durchgang in den Zooschulraum, der
- solange nicht für Gruppen in Benutzung - auch dem
Normalbesucher offen steht und neben einigen kleinen
Terrarien durch eine große Glasscheibe den ersten
Blick in die Schimpansenanlage ermöglicht.
Schimpansen? In einem Meeres-Nordland-Zoo? Die Frage
wurde schon vor langer Zeit gelöst, und zwar auf
politischer Ebene: Die Schimpansen bleiben! Und
damit muß man nun auch tiergärtnerisch leben. Die
geräumige Innenanlage mit Felsen, Wasserläufen und
Urwald-Gemälde im Hintergrund verblüfft durch
zahlreiche Zier-Trockengestecke, an denen sich die
Tiere noch nicht vergriffen haben. Der Tunnelblick
für die Besucher, nach oben durch schwere Felsen
begrenzt, dient dem Zweck, den Blick auf die Decke
zu verwehren. Denn dort schlingt sich ein Gewirr aus
Elektrodrähten um die Dachträger, die für die Tiere
unerreichbar sein sollen und deren Lebensraum
auf die unteren Meter der Anlage begrenzen. Dies ist
die bauliche Konsequenz aus einem Gestaltungs-Dogma
der ausführenden Zoodesign-Firma: Keine sichtbaren
Gitter! Hieraus ergeben sich teilweise höchst
unnötige Einschränkungen auch an anderer Stelle im
Zoo.
Tritt man aus dem Felslabyrinth heraus, ergibt sich
ein erstaunlich weiter Blick über die neue Zoolandschaft
- die großen Gehege sind an der Peripherie
angeordnet, in der Mitte wächst eine kleine
Parklandschaft heran, an die Restaurant-Terrassen
und der Spielplatz angrenzen. Der weiträumige
Eindruck wird durch einen Trick erreicht: Der
Besucherweg befindet sich viel höher als man im
alten Zoo überhaupt gelangen konnte. So öffnet sich
der Blick nicht nur hinüber zur alten Strandhalle,
sondern auch über die Wesermündung. Selbst zwischen
den Kulissenfelsen der Tieranlagen wurden immer
wieder Glasscheiben und Durchblicke auf den Horizont
gelassen. Kein Vergleich zur auch optisch
erdrückenden Enge im alten Zoo. Noch höher hinaus
gelangt man auf den Aussichtsterrassen über dem
Restaurant, mehrfach gestaffelt mit weitem Blick
über Zoo, Weser und Stadt. Die “Höherlegung” hat
noch einen weiteren Sinn: Darunter befinden sich auf
weiteren Etagen die Innenräume, Tierpflegebereiche
und Technik-Anlagen des Zoos, der so fast die
doppelte Nutzfläche erhielt.
Die Charaktertiere des Zoo am Meer waren schon immer
die Eisbären. Für sie entstand die
flächenmäßig größte Anlage des Zoos, und was diese
im Vergleich mit anderen Zoos an Fläche dennoch
nicht bieten kann, gleicht sie mit Vielfalt aus.
Vorbei die Zeit der versiegelten Betonböden, nun
haben die Eisbären verschiedenen Bodengrund wie
Sand, Schotter, Stein und Gras zur Verfügung.
Flächen aus weißem Kies sollen wohl Schnee
symbolisieren. Das riesige Salzwasser-Schwimmbecken
sucht seinesgleichen.
Natürlich hofft man, bald an die Zuchterfolge
früherer Jahre anzuknüpfen. Bis dahin ist das
Absperrgehege (über eine drehbare Felsbrücke mit dem
Hauptgehege zu verbinden) noch frei für eine andere
Nutzung: Die Eisfüchse sollen hier einen wesentlich
größeren Lebensraum erhalten als von den Zooplanern
vorgesehen. Noch leben sie auf einer Felsinsel hoch
über dem Eisbär-Graben. Die Idee, hier einen
Panoramaeffekt mit zwei in der Natur gemeinsam
vorkommenden Arten zu gestalten, ist zwar eigentlich
gut, doch die Eisfuchs-Felszinne ist für die
Füchse nicht nur wenig nutzbar, sondern sie sind
hier von den Besuchern auch kaum zu sehen
(Mauszeiger über das Bild bewegen für
Ausschnitts-Vergrößerung). Möglicherweise wird hier
bald der Uhu sitzen, der ansonsten für
Flugvorführungen vorgesehen ist.
Vorbei an der alten Klappmützen-Plastik gelangt man
zum Mähnenrobben-Becken, ebenfalls mit
Salzwasser und Weser-Blick. Hier zeigt sich
ein weiterer Planungsmangel: die Wege sind
ausschließlich für einen gleichmäßigen
Einbahn-Besucherstrom durch den Zoo vorgesehen.
Schon zwei Kinderwagen passen kaum aneinander
vorbei, und wenn dann noch eine Robbenfütterung
stattfindet, können nur noch wenige Besucher
gleichzeitig zusehen, die dann den ganzen Rundweg
blockieren (Querwege gibt es kaum). Die
Kunstfelsenfirma hatte zudem fast alle Gehege mit
hohen Felsbrüstungen umgeben -
Sichthindernis für Kinder und Rollstuhlfahrer.
Selbst die wenigen Glasscheiben sind mit dicken
Felsrahmen umgeben. Und so werden bereits jetzt
unnötige Felsriegel wieder abgebrochen, weitere
Scheiben eingeplant und für mehr Platz und freie
Sicht gesorgt.
Vorbei an der Anlage der Seebären und der
Pinguine senkt sich der Weg langsam ab und
verschwindet in den nächsten Felsgrotten. In dessen
Wänden findet man echte Versteinerungen eingelassen
(Ammoniten usw.): noch während der Bauphase wurde
dem Zoo eine Sammlung angeboten, Dr. Kück griff
sofort zu - aus Bochum mit Fossilien vertraut - und
ließ sie gleich verarbeiten.
Der nächste Stopp ist eine Unterwasserscheibe,
an der sich merkwürdige Ansichten bieten: lauter
paddelnde Schwimmfüße. Es ist der erste Blick auf
die Basstölpelkolonie, nur leider wurde die
Wasserline zu hoch angesetzt, so daß man sie - die
ja eher selten tauchen - nur von unten sieht. Erst
auf der Rückseite des Geheges sieht man die Tiere im
Ganzen, doch auch hier ist der Teich mit der hohen
Wasserlinie hinderlich: Man sieht die Tölpel nur
relativ weit hinten auf der Beckenkante sitzen, der
Wasserspiegel ist kaum zu erkennen. Hier wurde nicht
nur Platz verschwendet, sondern eine der
charakteristischsten Tierarten des Zoos
unvorteilhaft präsentiert. Wie viel schöner wäre
hier eine großzügige Seevogelvoliere vor
Helgoland-Felsen gewesen, vielleicht betretbar, mit
verschiedenen Arten wie Lummen oder gar
Papageitauchern. Aber, wie gesagt, die Architekten
wollten keinerlei Gitter, nicht einmal
Volierengewebe... Vielleicht bietet dies aber auch
die Chance, schon in einigen Jahren etwas Neues zu
bauen - auch ein “fertiger” Zoo braucht schließlich
immer wieder neue Attraktionen. Den Basstölpeln
gefällt es jedenfalls hier so gut, daß sie nicht nur
bereits mit dem Nestbau begonnen haben und auch die
notorischen Fußprobleme viel weniger geworden sind,
sondern sie ihren Lebensraum auch vehement gegen
andere Mitbewohner verteidigen: Die Sturmtaucher
wurden so gemobbt, daß sie wieder herausgenommen
werden mußten.
Kandidat für eine künftige Umbauaktion ist auch das
Waschbär-Gehege, das nachträglich in die
hinterste Ecke des Zoos gesetzt wurde. Auf den
ersten Blick eine optisch gelungene Freisichtanlage
mit Vegetation, Bachlauf und Felskulisse, erkennt
man doch schnell, daß die Tiere tatsächlich relativ
wenig Platz und vor allem keinerlei
Klettermöglichkeiten zur Verfügung haben.
Diese Überleitung zum amerikanischen Kontinent
bereitet die Besucher auf die Pumas vor -
ebenfalls eine Art, die schon im alten Zoo seit
langem gezeigt wurde. Nun sind Pumas klettergewandte
Katzen, die nur schwer in offenen Gehegen, und dann
nur mit entsprechend hohen Zäunen und weiten Gräben
gehalten werden können. Die Alternative - ein
Käfig - kam für die Architekten ebensowenig in
Frage, und so entstand ein riesiger
Kunstfels-Würfel, dessen Gitterdach erneut durch
Sichtblenden und Felskanten vor dem Besucher
verborgen bleiben soll. Das Innere wurde sehr nett
und vielfältig als felsiges Trockental gestaltet,
und durch mehrere Felstunnel und große Glasscheiben
können die Besucher den vier Tieren sehr nahe
kommen. Nur die Katzen, die so gern aus erhöhter
Warte den Blick weit schweifen lassen, können
ausschließlich gegen Felswände schauen.
Gleichtzeitig bildet die übermäßige
Kunstfels-Verkleidung der Anlage eine klotzige
Felswand im Zentrum des Zoos. Dies ist auch der
einzige Bereich des Zoos, in dem mit
Freizeitpark-Effekten experimentiert wurde: aus den
Grotten schallt Puma-Brüllen vom Band, und auf einem
Felsvorsprung thront ein blutiger Beute-Kadaver
- aus, natürlich, Beton. Wirkt eher bemüht und
albern als daß es eine dichtere Atmosphäre erzeugt.
Vorbei an der Seidenaffen-Anlage (ursprünglich nur
als “Deko” im Shop gepant, erst während des Baues
wurde noch eine Außenanlage durchgesetzt), einem
Streichelgehege mit Kaninchen, der noch nicht
fertigen Anlage für Schneehasen und dem platzsparend
in die dritte Dimension augetürmten Spielplatz führt
der Weg durch die Grotten unterhalb der Robben- und
Eisbärenanlagen. Hier bietet sich nun erstmals der Blick
unter Wasser auf die Tiere. Ein
Acrylglastunnel ist zwar nicht vorhanden, doch
hinter den großen Scheiben kann man die
Unterwasserlandschaft bis in zehn Meter Entfernung
betrachten (dank Salzwasser und leistungsstarken
Filtern - nur die “wartungsfreie” Ozonanlage bei den
Mähnenrobben trübte gerade durch Ausfall das Wasser
und die Freude daran). Außerdem finden sich
hier ein aus dem alten Aquarium gerettetes Becken
mit zahlreichen Fischen und Wirbellosen der Nordsee
und weitere Vitrinen mit Fossilien und anderen
Exponaten.
Ein letztes unnötiges Ärgernis ist die - ebenfalls
der Gitter-Aversion der Architekten entsprungene - Kea-Anlage.
Diese Bergpapageien waren schon im alten Zoo in
einer geräumigen Voliere untergebracht. Für sie
entstand im Zentrum des Zoos ein hohler Felsturm, in
den man nur durch einige kleine Fenster
hineinschauen kann - am besten ironischerweise vom
Kletterturm des Spielplatzes (s. Foto). Die zwei
Tiere sitzen fast den ganzen Tag ganz oben unter der
Gitterkuppel, wo sie wenigstens etwas Ausblick
haben, für die Besucher aber nahezu unsichtbar
bleiben. Diese Anlage muß - allein der
Quadratmeterzahl der Kuntfelsen nach - ein Vermögen
gekostet haben, ohne nennenswerten Schauwert
zu bringen oder den Tieren einen ansprechenden
Lebensraum.
Aber, wie gesagt, es wäre ja auch langweilig, wenn
der neue Zoo so perfekt wäre, daß es in den nächsten
zehn Jahren keinerlei Grund gäbe, an einen Umbau zu
denken!
Zu guter Letzt noch ein Bild aus den weitläufigen
Katakomben unter dem Zoo: Eine Batterie aus Eiweiß-Abschäumern
für die Robben-Filterung.
Wie bei fast allen komplet neu gebauten Zoos - von
Miami bis Madrid - zeigt sich immer wieder, daß die
Planer nur eine Reihe von charakteristischen
Tierarten im Kopf haben, für die sie dann die Gehege
aneinanderreihen. Anders als in gewachsenen Zoos
werden dabei die kleinen, “nebensächlichen” Arten,
die aber oft den Reiz eines Zoos ausmachen, oft
völlig übersehen. Auch in Bremerhaven sind von 150
Arten (dabei ist das nun verschwundene Aquarium noch
gar nicht mitgezählt!) nur ca. 30 Arten geblieben.
Manche verschwanden zugunsten besserer
Lebensumstände anderer oder paßten nicht mehr ins
Konzept. Doch die Vielfalt hat deutlich gelitten.
Erste Ideen, z. B. für Kleinsäuger wie Lemmige, gibt
es aber bereits.
Einige Zoo-Aspekte sind noch unterentwickelt. Die
Didaktik befindet sich im Aufbau, neben dem
Zooschul-Angebot gibt es einige grafisch gelungene,
aber nicht sehr ausführliche Infotafeln - auch
speziell für Kinder - und Vitrinen, aber noch nicht
für alle Arten oder zu Spezialthemen. Über Natur-
und Artenschutz erfährt der Besucher noch sehr
wenig, und auch die Aktivitäten des Zoos auf diesem
Gebiet halten sich noch sehr in Grenzen. Das
dürfte sich aber nach der ersten, hetkischen Saison
schnell ändern.
Der Zoo am Meer ist in jedem Fall einen Besuch wert
und eindeutig zu empfehlen. Es hat in den letzten
Jahrzehnten einige wenige Zoos in Deutschland
gegeben, die komplett neu aus einem Guß entstanden.
Sie alle hatten extrem unter Planungsmängeln und
übermäßigem Einfluß von Architekten zu leiden. Am
bekanntesten ist Münster, wo der geometrische Betonzoo seit einem
Jahrzehnt mühsam, aber sehr erfolgreich
“renaturiert” wird. Ein jüngeres Beispiel ist Kevelaer, wo Plantaria im Stil einer
Bundesgartenschau entstand. Verglichen damit ist der
neue Zoo am Meer in Bremerhaven bei allen
Kompromissen und Problemen verursacht durch Politik,
Baufirma und Finanzen, noch sehr gut weggekommen.
Und die Besucherzahlen zeigen, daß dies auch
honoriert wird. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob
es gelingt, diese schlüselfertige Zoo-”Retorte” nach
und nach mit eigenständigem Leben zu füllen und mit
kleinen und größeren Umbauten und Verbesserungen
seinen eigenen Stil finden zu lassen.
Und wenn dann irgendwann doch noch ein Aquarium
kommt - möglicherweise in Verbindung mit dem in
unmittelbarer Nachbarschaft geplanten "Klimahaus"
mit Exponaten und Tieren des 8. Längengrades - ist
das Spektrum der zoologischen Einrichtungen am
Weserdeich wieder komplett.
Wir danken Frau Dr. Kück für die freundliche
Einladung und die ausführliche Führung!
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